Viel gab es zur weltgrössten Messe für Gesellschaftsspiele, der SPIEL ’15 in Essen, im Vorfeld zu lesen und zu hören. Und der Messeherbst lief bereits heiss. Erst eine Woche davor fand die Suisse Toy statt, immerhin die grösste Spielwarenmesse der Schweiz. Da erträgt man doch leicht noch eine kleine Messe hinterher. Klein? Sagen wir mal so: Die Spiel ’15 in Essen bietet mehr als die doppelte Ausstellungsfläche als die Suisse Toy – und das erst noch ausschliesslich für Gesellschaftsspiele. Dazu mehr als 160’000 Besucher. Also rein ins Getümmel.
Persönliche Eindrücke
Irgendwie bin ich mir nicht so sicher, ob mich die Messe überhaupt empfangen wollte. Da wurde ein Stellwerk zum Stehwerk, Züge fielen gleich reihenweise aus. Also eine Anreise mit dem Flugzeug aus der Schweiz und sicherheitshalber ins Taxi. Den ersten Stau umfuhr mein Taxifahrer kundenfreundlich und elegant: Rechts raus über die Raststätte und gleich vorne wieder rein – wir haben locker 50 Autos stehen lassen. Im Hotel durch die Lobby an zahlreichen Spieltischen vorbei, eine Familie kehrte Camel Up-mässig bepackt mit ihren Donnerstags-Einkäufen zurück. Ich hoffe, die hatten kein Standard-Zimmer, das wäre damit nämlich voll gewesen.
Beim meinem persönlichen Messestart stand ich nach wenigen Metern bereits zum ersten Mal in einer Schlange, nämlich vor dem U-Bahn-Abgang. Sperrzone, da bereits zu viele Menschen vor der Bahn warteten, die mit einem kurzen Aussetzer gleich noch für grösseres Chaos sorgte. Nach über einer Stunde Messeanreise aus der Essener Innenstadt lief es danach aber reibungslos. Wenn man erst mal in der Messe drin ist, kann fast gar nix mehr passieren.
Die Messe selber ist einfach gigantisch. Die Märchen der touristisch angehauchten Einkäufer mit Rollkoffern und Wagen haben sich tatsächlich bewahrheitet. Das Spieler-Volk ist mindestens so bunt gemischt, wie all die Spiele selber. Die Verlage haben sich mit ihren Dekors an den Ständen gegenseitig überboten. Es spielt sich ein wenig laut in den Hallen – aber gut. Und das Angebot ist derart gross, dass man selbst beim zehnten Rundgang immer noch etwas Neues entdeckt. Langeweile gibt es an der SPIEL nicht.
Business
Der weit angereiste Brettspielblog.ch-Redakteur hat sich natürlich gut vorbereitet. Die Messe spielt sich nämlich nicht nur vor den Ständen, sondern auch dahinter ab. Ein bekannter Chefredakteur einer französisch klingenden Spieleseite nennt das in seiner Sprache: „Socializing“. So bestimmten einige Termine bei den Verlagen meinen Tagesplan, der aber doch noch genügend Luft zum Atmen liess. Rund 1000 Neuheiten sind doch etwas schwierig in einen Tag einzubauen. Da die Schweiz ein etwas eigenständig und eigenwilliges Vertriebsland ist, war es auf jeden Fall sehr schön, die Leute hinter den internationalen Vertrieben persönlich kennenzulernen. Und weil auch der Bodensee ziemlich gross ist, gelang es mir tatsächlich erstmals, den Seejungen Guido Heinecke von Tric Trac (oder auch dem Verein Spiel des Jahres) zu treffen. Er besitzt neben einem ausserordentlichen Spiele-Sachverstand auch eine ausgefeilte Technik, Kugelschreiber unters Volk zu bringen. Den neuartigen Adventskalender von Frosted Games habe ich kurzerhand ignoriert. Ich gebe zu, Erweiterungen interessieren mich nicht sehr, die Idee finde ich aber schön umgesetzt. Um Matthias Nagy trotzdem zu unterstützen, habe ich bei seinem Spiel Harbour zugegriffen.
Neben den grossen und bekannten Verlagen, fand ich Halle 7 ziemlich interessant. Dort präsentierten sich die kleineren Verlage und die eine oder andere Spieleperle. Bei einer Partie Die Piraten der 7 Weltmeere von 2geeks ging es hart zu und her. Und da es die internationale Halle war, sass ich zufällig mit… Schweizern am Tisch. Was es nicht alles gibt in der Fremde?!
Der Catan-Weltrekord oder auch die Carcassonne-Meisterschaften sorgten für gute Unterhaltung, alles bestens präsentiert.
Für die Presse besonders geeignet ist die Neuheitenschau, an der die Verlage ihre neuen Spiele präsentieren können. Dort können die Neuheiten in Ruhe fotografiert und gefilmt werden. Eine persönliche Auswahl der Neuheiten habe ich bereits in einer kleinen Galerie veröffentlicht. Noch schöner war aber mein italienischer Kollege, der sämtliche Spiele filmte und gleichzeitig kommentierte. Was für ein Spass. Lautstark präsentierte er zu jedem Spiel sensationelles Hintergrundwissen: „Ottanta-settanta. Settanta-ottanta!“ Für mich war sofort klar: Dieser Mann gehört in die Spiel des Jahres-Jury. Wer schon bei Neuheiten derart viel zu erzählen weiss, muss seine geballte Fachkompetenz richtig einsetzen können. Von der Konkurrenz kann man noch viel lernen. Ich muss mich nächstes Jahr unbedingt noch besser vorbereiten.
Messefazit
Ich habe mich an der Spiel ’15 bestens unterhalten. Einige Spiele konnte ich anspielen, beobachten oder auch gewisse Details nachfragen. Ein abschliessendes Urteil lässt sich im Messetrubel natürlich nicht fällen. Wichtiger ist die Kontaktpflege vor Ort. Gerade als Schweizer Aussenstation ist es nicht immer einfach, Kontakte zu den Verlagen zu pflegen. Das gelingt an DER Messe, an der sich die ganze Spiele-Prominenz versammelt, natürlich ausgezeichnet. Die Organisation einer solchen Messe mit derart unterschiedlichen Erwartungen von allen Seiten, war super. Essen war eindeutig eine Reise wert. Besonders gefreut habe ich mich, dass ein grosses Spiele-Plakat eine Rezension von Brettspielblog.ch erwähnte. Nicht schlecht. Dass ich vor lauter Staunen die Warteschlange zur den Heidelberger Sonderangeboten aufmischte, war schlicht redaktionelles Ungeschick. Ich werde mich bessern.
PS: Natürlich hinterliess auch die Rückreise zum Flughafen, eingepfercht im einzigen Regional-Express, der Essen mit der restlichen Welt verband, einen einzigartigen Eindruck. Und das an jeder Körperstelle, an der es nach japanischen U-Bahn-Verhältnissen drückte.